Justitia 4.0 – das Für und Wider digitaler Gerichtsprozesse und Notariatsakte in der Türkei

Da die türkischen Gerichte über längere Zeiträume Gerichtsverhandlungen komplett vertagt haben, und um die Justiz während der Covid-19-Pandemie handlungsfähig zu halten, wurde die Möglichkeit der digitalen Gerichtsprozesse eingeführt, sodass Gerichtsverhandlungen nunmehr per Videokonferenz stattfinden können. Digitale Gerichtsverhandlungen sind in allen Gerichtsverfahren in Zivilsachen zulässig. Hierzu gehören auch Verfahren vor den Handels-, Familien- und Vollstreckungsgerichten. Auch Notariatsakte können digital durchgeführt werden, wenn der Mandant über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügt. Ausgenommen hiervon sind jedoch Notariatsakte, bei denen gegenüber dem Notar eine Willenserklärung abgegeben wird, und notarielle Beurkundungen. In diesen Fällen ist das persönliche Erscheinen der Partei(en) erforderlich.

Gerichtsverhandlungen können per Gerichtsbeschluss oder auf Antrag einer der Parteien per Videokonferenz abgehalten werden. Gibt das Gericht dem Antrag statt, kann die antragstellende Partei an der Gerichtsverhandlung per Videochat teilnehmen, d.h. sowohl Ton als auch Bild müssen übertragen werden, Mimik, Gestik, Körperhaltung, das sonstige Verhalten und Emotionen müssen eindeutig erkennbar und die Stimme gut zu hören sein. Auch Zeugen, Sachverständige und andere Experten können per Videochat zugeschaltet und angehört werden. Die Parteien und ihre Anwälte können von einem beliebigen Ort aus zugeschaltet werden, es sei denn, sie werden vernommen oder vereidigt, in diesem Fall ist eine Teilnahme per Videokonferenz wie auch bei Zeugen, Sachverständigen und anderen Experten lediglich vom Gericht ihres Wohnsitzes oder einer Strafvollzugsanstalt aus zulässig. Aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen kann die Teilnahme an der Verhandlung von einem anderen Ort aus genehmigt werden.

In der Türkei haben wir bisher keine mandatsbezogenen Erfahrungen mit digitalen Gerichtsverhandlungen/ Notariatsakten gemacht. Die Digitalisierung von Gerichtsverhandlungen ist jedoch eine der wichtigsten Neuerungen der im Jahr 2020 durchgeführten Justizrefom. Bis Mai 2021 wurden in der Türkei insgesamt 10.324 digitale Verhandlungen an 679 Gerichten durchgeführt. Dies hat wesentlich zum Funktionieren der Justiz in der Covid-19-Pandemie beigetragen.



Autor: Zeynep Kafa